Koblenz - Fortsetzung im spektakulären Koblenzer Doppelmord-Prozess: Vor dem Landgericht berichtete ein Psychiater über seine Begegnungen mit der Angeklagten, die ihre Schwiegereltern ermordet haben soll. Sie klagte demnach über Weltschmerz und sprach von Suizidabsichten,
Sie wollte sich angeblich wieder mal das Leben nehmen, nachts auf die Autobahn fahren, einen Unfall verursachen. Aber: Alles ging schief. Erst sprang ihr BMW nicht an, dann nahm sie mit ihrem Dacia eine falsche Autobahnauffahrt – schließlich warf sie ihre Suizidpläne über den Haufen. Vielleicht sollte es ja nicht sein.
Vielleicht war das alles ein Zeichen für das Leben. Sie fuhr zurück zu ihrem Haus nach Haren, zu ihren Töchtern und ihrem Jack Russell Terrier. Sie kuschelte sich mit dem Tier um 1 Uhr ins Bett und schlief ein.
So schilderte Henrike Schemmer (47) kürzlich einem Psychiater, wie sie die Nacht auf den 8. Juli 2011 erlebt haben will. Sie steht seit Dezember vor dem Landgericht Koblenz, weil sie ihre Schwiegereltern Waltraud (68) und Heinrich (75) Schemmer in jener Julinacht heimtückisch erstochen haben soll. Laut Anklage fuhr sie mit ihrem BMW von ihrem Wohnort Haren (Niedersachsen) rund 350 Kilometer nach Koblenz, drang ins Haus des Paares ein und erstach beide.
Am 21. Prozesstag berichtete Dr. Gerhard Buchholz (57) über seine stundenlangen Gespräche mit der Angeklagten. Der Psychiater, der auch den Krufter Dreifachmörder und den „Horror-Vater" im Missbrauchsfall in Fluterschen begutachtet hatte, schilderte die Angeklagte als eine Frau, die sich nach eigener Aussage seit ihrem zwölften Lebensjahr mit Suizidgedanken befasste. Ein Grund sei ihr Vater gewesen, der sie mit „Psychoterror" niedermachte und demütigte. Wenn sie für etwas zu lange brauchte, soll er sie angeschnauzt haben: „Mach schneller, du Spasti!"
Schon als Kind habe sie in Suizidabsicht Tabletten gesammelt oder sich die Pulsadern aufgeschnitten. Auf ihrer Schulter säßen ein Engelchen und ein Teufelchen – der eine schwärme vom Leben, der andere rate zum Tod. Sie habe von ihren Suizidgedanken nur sehr wenigen Menschen erzählt. Und sie wollte nicht zum Arzt, weil sie befürchtete, dass dort zu viel Kindheitserinnerungen hochkommen. Ihr sei erst in der Haft bewusst geworden, dass sie vielleicht an Depressionen leidet.
In den Tagen vor jener Julinacht 2011 hatte die Angeklagte laut dem Gutachter das Gefühl, sie sei es nicht wert weiterzuleben. Der ganze Weltschmerz sei auf sie eingestürzt. Sie schrieb keinen Abschiedsbrief, weil sie einen Unfall vortäuschen wollte. Bevor sie losfuhr, habe sie einer Tochter gesagt, sie besuche in Köln eine Freundin. Aber sie habe vergessen, dieser Freundin den Besuch anzukündigen. Und sie fuhr versehentlich nicht Richtung Köln, sondern Richtung Norden nach Leer.
Laut dem Gutachter gibt es kein Anzeichen dafür, dass die Angeklagte – falls sie die Tat verübte – in der Tatnacht vermindert schuldfähig war.Am 14. Prozesstag hatte ein Ehepaar behauptet, es habe den BMW der Angeklagten einige Tage vor der Tat in Neuwied gesehen, ebenso in der Tatnacht in Tatortnähe. Jetzt erklärte das Gericht, dass es zumindest den Wahrheitsgehalt der Aussage der Frau bezweifle.
Henrike Schemmer sitzt seit Mai 2012 in Untersuchungshaft. Im Gespräch mit dem Gutachter beteuerte sie erneut ihre Unschuld. Sie habe im Dezember einen Zusammenbruch erlitten, die Haft sei ein Albtraum. Der Prozess geht am 27. Juni weiter. Dann halten die beiden Staatsanwälte wohl ihr Plädoyer.
Von unserem Redakteur Hartmut Wagner