In der Weinbergstraße unter der Brücke befindet sich die "Hall of Fame", die ebenfalls den Abrissbirnen zum Opfer fällt. Auf Wänden, Mauern und Brückenpfeilern können Graffitisprayer hier bislang legal ihre Kunst ausüben, Dutzende neue Bilder entstehen in jedem Jahr. Die Suche nach Ersatzflächen hat mittlerweile begonnen.
Es laufen bereits Gespräche zwischen Jugend- und Tiefbauamt, um eine Lösung zu finden. "Wir sind uns einig, dass wir etwas finden müssen, und ich bin ganz optimistisch", sagt Peter Schwarz, Leiter der Abteilung Straßen- und Brückenbau im Tiefbauamt. Er macht allerdings keine Hoffnungen darauf, dass nach Abschluss der Arbeiten unter der Europabrücke wieder gesprüht werden darf: Hier gebe es keinen Platz mehr, es werden wohl Parkplätze eingerichtet. Dass an anderer Stelle aber eine Alternative her muss, steht für Schwarz außer Frage: "Wenn der Druck da ist, braucht man ein Ventil." Heißt: Wenn junge Leute sprayen wollen, brauchen sie einen Platz dafür. Sonst tun sie es womöglich illegal.
Davon ist auch Berthold Temmler, Graffitibeauftrager der Stadt, überzeugt - auch wenn er weiß, dass es einen riesigen Unterschied zwischen dem gibt, was legal in der "Hall of Fame" entsteht, und dem, was er und seine Helfer im Stadtgebiet Tag für Tag beseitigen. "Wir müssen unterscheiden zwischen Graffiti und Schmierereien", betont er. 80 bis 90 Prozent dessen, was in der Stadt illegal an Wände, Mauern, auf Bänke und Böden gesprüht und gekritzelt wird, sind keine Graffiti mehr, weiß Temmler. Und davon gibt es immer mehr: Die Zahl der Schmierereien hat sich zuletzt verdoppelt, knapp 1000 Fälle wurden in diesem Jahr bereits registriert, fünf bis zehn Quadratmeter reinigt die "Graffiti-Taskforce" pro Tag. Besonders betroffen: der Schienenhaltepunkt Mitte. Dahinter stecken immer mehr Gruppen, die in die Stadt kommen, nachts sprühen und im Morgengrauen wieder verschwinden, so Temmler. In der Weinbergstraße hingegen halten sich die Sprayer an die Vorgaben: "Es wird nie auch nur einen Meter weiter gesprüht, als erlaubt ist."
Konsequentes Vorgehen gegen Schmierereien, kombiniert mit legalen Flächen sind für Temmler ein Konzept, das sich bewährt hat. "Deshalb hoffe ich auch, dass wir bis zum Abriss der Brücke zu einer Einigung kommen." Denkbar wären für ihn die Brückenpfeiler auf dem Oberwerth, die schon einmal besprüht wurden, oder der Hochbunker in der Nagelsgasse. Holger Marquardt, mobiler Jugendarbeiter beim Jugendamt, betont, dass eine Ersatzfläche verkehrssicher sein, also nicht direkt an einer Straße liegen sollte, und mindestens 2,50 Meter hoch sein müsste, um genügend Gestaltungsmöglichkeiten zu bieten. Für ihn ist klar: "Wir müssen den Sprayern eine Möglichkeit geben, ihre Fertigkeiten auszuüben und zu zeigen."
Wer Ideen für geeignete Ersatzflächen hat, kann sich bei Holger Marquardt melden: Telefon 0170/205 40 08.
Stephanie Mersmann