Koblenz. Er weckte mitten in der Nacht seine Frau - und erzählte von Kaiser Wilhelm I., vom Deutschen Eck, vom Reiterstandbild. Er war seit Stunden wach, fand keinen Schlaf und hatte jetzt eine Idee: Er wollte den Kaiser zurück nach Koblenz holen, das weltberühmte Denkmal für eine Millionensumme rekonstruieren lassen. Seine Frau schüttelte mit dem Kopf und hoffte, dass er seine Idee bis zum Morgen vergessen würde.
Dr. Olaf Theisen (50) schmunzelt, als er diese Geschichte seiner Eltern erzählt. Er ist an diesem verregneten Morgen zum Deutschen Eck gekommen - dem Ort, der wohl für immer mit den Namen Dr. Werner und Anneliese Theisen verbunden sein wird. Er erinnert sich, wie sein Vater im Frühjahr 1987 erstmals von seiner Idee sprach. Wie seine Mutter sich dafür mehr und mehr begeisterte. Und wie sie es gemeinsam schafften, das Reiterstandbild am Zusammenfluss von Rhein und Mosel wiedererrichten zu lassen - trotz jahrelangem Protest von Politikern, Journalisten und Bürgern.
Vor 20 Jahren war es soweit. Am 2. September 1993 hievte ein Kran das 69 Tonnen schwere und 14 Meter hohe Kaiser-Wilhelm-Denkmal aus dem Bauch eines Frachters auf seinen monumentalen Sockel. Das Ehepaar Theisen hatte rund 3 Millionen Mark gespendet und das Standbild rekonstruieren lassen - getreu dem Original, das bis 1945 das Stadtbild prägte. Ende September weihte Oberbürgermeister Willi Hörter (CDU) das erneuerte Denkmal ein, gemeinsam mit Tausenden Menschen. Er bedankte sich beim Ehepaar Theisen: "Sie haben uns einen Teil unserer Geschichte wiedergegeben." Doch Werner Theisen konnte dies nicht mehr erleben. Er war einige Monate zuvor gestorben.
Wer heute an Koblenz denkt, denkt an den Kaiser. Das Deutsche Eck ist das Wahrzeichen der Stadt. Als es 1897 eingeweiht wurde, war es eine Ehrerbietung an Kaiser Wilhelm I., eine Demonstration politischer und militärischer Macht. Heute ist es vor allem eine Touristenattraktion, außerdem die Kulisse für Marathonläufe, Rockkonzerte und Rhein in Flammen.
Werner Theisen war Anwalt, Verleger und Geschäftsführer des Mittelrhein-Verlages, in dem die Rhein-Zeitung erscheint. Er leitete das Musik-Institut Koblenz, spielte Geige, besaß eine Stradivari. 1987 feierte er seinen 60. Geburtstag und seinen 30. Hochzeitstag. Darum wollte er seiner Heimatstadt etwas schenken. Er bot an, das Kaiserdenkmal rekonstruieren zu lassen.
Doch das Deutsche Eck gehörte damals dem Land Rheinland-Pfalz. Und Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) lehnte das Schenkungsangebot ab. Er verwies darauf, dass das Denkmal seit dem Jahr 1953 das Mahnmal der deutschen Einheit sei. Eine Umwidmung zum Kaiserdenkmal sei politisch nicht möglich, weil sie den Eindruck erwecken würde, man akzeptiere die deutsche Teilung.
Doch die Wiedervereinigung änderte die Situation grundlegend. 1990 nahm Ministerpräsident Carl-Ludwig Wagner (CDU) das Schenkungsangebot an. Auch der Koblenzer Stadtrat sprach sich für ein neues Reiterstandbild aus. Dennoch gab es damals hitzige Debatten über das Denkmal. Die Befürworter - oftmals CDU-Mitglieder - betonten, es gehöre zum Koblenzer Stadtbild, ziehe viele Touristen an und sei von den Bürgern gewollt. Die Gegner - oftmals SPD-Mitglieder - argumentierten, Kaiser Wilhelm I. war Antidemokrat und Militarist. Ein Denkmal für ihn widerspreche dem Gedanken der europäischen Einigung.
Manch Kritiker schlug vor, das Deutsche Eck komplett umzugestalten. Zum Skulpturengarten, zum Denkmal für die europäische Einigung oder zum Friedenssymbol mit weißer Marmorrakete auf dem Sockel.
Kurios: Ein scharfer Gegner des Kaiserdenkmals war ausgerechnet Joachim Hofmann-Göttig (SPD), der heutige Koblenzer Oberbürgermeister. Er war 1992 Kulturstaatssekretär in Mainz und erklärte bei einer Podiumsdiskussion: "Im anderen Teil Deutschlands werden jetzt gerade Lenin-Büsten, Stalin-Büsten und ähnliches abgerissen. Ich weiß nicht, warum wir dann hier, in diesem Teil Deutschlands, Kaiser Wilhelm wieder aufstellen müssen." Heute sagt er: Als Staatssekretär verfolgte er damals die Interessen der Landesregierung. Als Privatperson sei er in der Debatte eher neutral eingestellt gewesen.
Hofmann-Göttigs Dienstherr war Ministerpräsident Rudolf Scharping (SPD), ebenfalls Denkmalsgegner. Er wollte Theisens Schenkung auf keinen Fall annehmen, obwohl er dazu vertraglich verpflichtet war. Schließlich einigte man sich auf diesen Kniff: Koblenz erhielt zwei Schenkungen - das Deutsche Eck vom Land, das Denkmal vom Ehepaar Theisen.
Von unserem Redakteur Hartmut Wagner