Von unserem Redakteur Tim Kosmetschke
Ein verletzter Mann liegt auf dem Gehweg, eine Frau kümmert sich um ihn - doch zig Passanten laufen einfach vorbei, Rad- und Autofahrer bremsen allenfalls kurz, um zu gucken: Dieser Vorfall am Dienstag auf der Pfaffendorfer Brücke sorgte für Aufsehen in Koblenz und für Diskussionen über mangelnde Zivilcourage.
Astrid Dürlich ist die Frau, die am Dienstag dem gestürzten Radler auf der Pfaffendorfer Brücke half und der niemand beistand, selbst als sie Passanten direkt darauf ansprach. "Das empört mich immer noch unheimlich", sagt Dürlich im Gespräch mit der RZ ein paar Tage danach. "Das war schon heftig."
Die Ehrenbreitsteinerin ist noch aufgebracht, wenn sie vom Dienstagmittag berichtet. "Ich wollte in die Stadt, und dachte, geh zu Fuß, das wird dir guttun. Dann kam ich auf die Brücke und sah schon von Weitem, dass da ein Mann an der Laterne stand und langsam in die Knie ging. Ich wusste: Da stimmt was nicht - also nichts wie hin."
Blut lief aus der Nase
Als Astrid Dürlich (42) zu dem 22-Jährigen kam, sah sie, dass er verletzt war, aus der Nase lief Blut. Die Polizei wird hinterher berichten, dass der Mann ohne Fremdeinwirkung mit seinem Fahrrad gegen einen der Laternenpfähle gefahren war, die auf der Brücke mitten auf dem Geh- und Radweg stehen. Dabei verletzte er sich schwer, jedoch nicht lebensgefährlich. Er ist noch immer in Behandlung.
"Natürlich habe ich mich auch erst mal gefragt, was machst du jetzt?", erinnert sich Astrid Dürlich. Sie nahm den Verletzten in den Arm, sie wählte den Notruf - sie machte alles richtig. Doch dann merkte sie, dass sie von fast allen Passanten, Radlern und Autofahrern, die die Unfallstelle auf der Brücke passierten, dabei alleingelassen wurde: "Da kam ein Radfahrer, dem rief ich zu, dass er mir helfen solle. Er meinte nur, er würde den Krankenwagen rufen und dann zurückkommen. Auf den Mann warte ich immer noch."
Dürlich erzählt auch von einem Pärchen, das in sicherer Entfernung stand und zuschaute. Mehrere Passanten liefen vorbei, Autos fuhren weiter. "Ich habe kein Zeitgefühl, dazu war ich zu aufgeregt. Ich weiß nicht, wie lange ich da mit dem Verletzten gehockt habe. Aber dass so viele vorbeifuhren oder -liefen, das ist einfach unglaublich."
Schließlich stoppte eine Fußgängerin, kurz danach auch eine Autofahrerin - die beiden unterstützten Astrid Dürlich. Wenig später kam der Krankenwagen, dann auch die Polizei. "Diese beiden Frauen, die geholfen haben - ohne die hätte ich das nicht geschafft", sagt Astrid Dürlich dankbar. "Und als wir dann da zu dritt waren - drei Frauen - da hielten auch plötzlich die Autofahrer an. Da gab es fast eine Massenkarambolage."
Nachdem die RZ über den Vorfall berichtet hatte, kochten in den sozialen Netzwerken im Internet die Emotionen hoch. "Unfassbar", fanden viele Kommentatoren auf Facebook das Erlebnis der Koblenzerin, die Erste Hilfe leistete und der niemand beistand. "Unglaublich frech, einfach nicht zu helfen, wenn man schon angesprochen wird", schrieb eine empörte Facebook-Nutzerin. Andere hatten jedoch für die Kritik an all denen, die vorbeifuhren, kein Verständnis, da dem Verletzten ja bereits geholfen worden sei.
Bereitschaft zum Wegsehen
Wie oft kommt es an Rhein und Mosel vor, dass Opfern von Unfällen oder Verbrechen nicht oder nicht ausreichend geholfen wird? Helmut Zirfas von der Pressestelle des Koblenzer Polizeipräsidiums kann dies nicht ohne Weiteres beantworten: "Wenn wir an eine Unfallstelle kommen, wurden wir ja verständigt. Wie oft das nicht der Fall sein mag, ist schwer zu sagen." Jedoch hat auch er festgestellt: "Die Bereitschaft wegzusehen, ist in unserer Gesellschaft ziemlich groß."
Deshalb startet die Polizei ja auch immer wieder Appelle an die Zivilcourage der Menschen, vom "Wachsamen Nachbar", der Tageseinbrüche verhindern kann, bis zu "Wer nichts tut, macht mit", einer Kampagne der rheinland-pfälzischen Polizei und der Landesregierung für mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.
Und die Polizei tut auch vieles dafür, dass Menschen, die Zivilcourage bewiesen haben, öffentliche Anerkennung zuteilwird - "um ihnen zu danken, aber auch, um sie als Vorbilder vorzustellen", wie Zirfas sagt. Astrid Dürlich könnte eine von ihnen sein, Zirfas kündigt zumindest an, sie für die Aktion "Kavalier der Straße" vorzuschlagen, einer Aktion unserer Zeitung und des ADAC.
"Für mich ist das nichts, wofür ich besonders geehrt werden müsste, sondern eine Selbstverständlichkeit", sagt Astrid Dürlich dazu. Ihr ist viel wichtiger zu erfahren, wie es um die Genesung des Radfahrers steht, und ihren beiden tapferen Helferinnen zu danken. "Ich würde es immer wieder tun."