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Koblenzer Bluttat: So tratschte die Nachbarin im Netz

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Sie behauptete, die Angeklagte Henrike Schemmer (47) war in der Tatnacht nicht zu Hause, sie mutmaßte über deren mögliche Tatmotive und bezeichnete das Herzstück von deren Aussage als Schmarrn. Sie vertrat damit eine Meinung, die auch andere vertreten. Nur: Die 46-Jährige ist nicht irgendjemand. Sie ist die Nachbarin von Henrike Schemmer und einer der wichtigsten Zeugen im Prozess. Durch ihre Internetaktivitäten verlässt sie ihre Position als neutrale Zeugin und stellt ihre Glaubwürdigkeit infrage.

Landgericht Koblenz, 23. Prozesstag. Johann Schwenn, Henrike Schemmers Staranwalt, ist kurz vor dem Ende seines Plädoyers. Er blickt von seinem Skript auf und fixiert die Nachbarin, die sich einen Platz in der ersten Reihe des Saals gesichert hat. Dann macht er öffentlich, was sie halbherzig geheim hielt. Dass sie bei Allmystery den Prozess kommentiert, dass sie sich Paulaner nennt und sogar als Diskussionsleiter auftritt. Schließlich zitiert er einen ihrer Beiträge vom 28. Juni: "Möchte auch anwesend sein, wenn man die ,Nachbarin‘ zerfleischt... ;-)"

Schwenn geht offenbar davon aus, dass die 46-Jährige mit "Nachbarin" die Angeklagte meinte. Doch wer den Beitrag bei Allmystery in seinen Gesprächsverlauf einordnet, muss zu dem Schluss kommen: Die Nachbarin meinte sich selbst. Sie wollte dabei sein, wenn Schwenn sie in seinem Schlussvortrag niedermacht.

Manche Prozessbeobachter vermuten, der Anwalt wusste seit Langem vom Treiben Paulaners und verzögerte den Prozess hier und da, damit sie Zeit für möglichst viele verfängliche Kommentare hatte. Nach seinem Plädoyer übergab er dem Gericht einen Stapel mit Ausdrucken ihrer Forumsbeiträge. Und: Die Richter haben inzwischen reagiert.

Eigentlich wollten sie bereits am 5. Juli ihr Urteil verkünden, jetzt aber vernehmen sie die Nachbarin am 5. August erneut als Zeugin - wohl um sie zu ihren Internetaktivitäten zu befragen. Die 46-Jährige bestätigte nach dem Plädoyer auf dem Gerichtsflur, dass sie sich bei Allmystery Paulaner nennt. Sie schrieb dort kurz später: "Hm, jetzt wissen selbst die letzten wer ich bin. Ich wurde als Forumbetreiberin öffentlich genannt :-)"

Laut Anklage ermordete Henrike Schemmer ihre Schwiegereltern Waltraud (68) und Heinrich (75) Schemmer, um an deren Millionenerbe zu gelangen. Sie fuhr demnach in der Nacht zum 8. Juli 2011 mit ihrem BMW von ihrem Wohnort Haren (Niedersachsen) 350 Kilometer nach Koblenz, drang mit einem Schlüssel ins Haus der Eheleute ein und erstach sie. Die Nachbarin sagte im Prozess, dass die Angeklagte ihre Schwiegermutter nicht ausstehen konnte. Dass ihr BMW am Tatabend weg war. Und dass die Angeklagte sie bat, ihr für die Tatnacht ein falsches Alibi zu geben.

Staatsanwältin Andrea Maier forderte lebenslange Haft für die Angeklagte. Sie hält die Nachbarin für eine wichtige Zeugin, deren Aussage absolut glaubhaft ist. Ganz anders Verteidiger Schwenn. Er stellte die Nachbarin wegen ihrer Forumsbeiträge als unglaubwürdig dar. Sie ist einer seiner Lieblingsfeinde im Prozess. In seinem Plädoyer lästerte er über ihr pinkes Halstuch. Bei ihrer Zeugenaussage ließ er ihren Reisekoffer vom Gericht durchsuchen - auf Unterlagen, die sie zur Vorbereitung genutzt haben könnte.

Die Nachbarin und Henrike Schemmer waren früher gut befreundet. Sie lebten in Haren Tür an Tür, trafen sich zum Kaffee, besuchten Trödelmärkte und Schützenfeste. Doch am 21. Mai 2012 kam es zum Bruch. Die Nachbarin ließ sich von der Polizei verwanzen, traf sich mit Henrike Schemmer in einer Eisdiele - und sprach mit ihr über die Tatnacht.

Das Gericht ließ im Prozess gut 70 Gespräche abspielen, die von der Polizei heimlich aufgezeichnet wurden - nur den Plausch in der Eisdiele nicht. Warum? Darüber schweigt das Gericht.

Einen Tag nach dem Eisdielentreffen wurde die Angeklagte festgenommen. Gut einen Monat später schrieb die Nachbarin ihren ersten Beitrag bei Allmystery - einem der größten deutschen Internetforen. Dort debattierten Dutzende Menschen über die Koblenzer Bluttat. Sie nannten sich Willy, Wurstscheibe oder Armleuchter, verfassten gut 25 000 Beiträge. Die Nachbarin alias Paulaner gab bei ihren Beiträgen oft keinen konkreten Empfänger an. Als stünde für sie nicht das Kommunizieren im Vordergrund, sondern das Mitteilen. Ihre Beiträge und alle anderen sind für jeden einsehbar. Die Diskussionen wurden aber beendet.

Henrike Schemmer beteuerte bei der Polizei ihre Unschuld. Sie habe in der Tatnacht Suizid verüben wollen, sei mit ihrem BMW umhergefahren, dann nach Hause zurückgekehrt. Doch ihre Nachbarin schreibt: "Sie wollte sich NIEMALS umbringen!!! So ein Schmarrn!!!"

Die Angeklagte gab sich bei der Polizei genügsam, sie sei "kein geldgeiles Luder", ihr Mann, ihre drei Töchter und sie hätten doch alles. Aber die Nachbarin behauptet im Internet, die Angeklagte heiratete ihren Mann wegen dessen vermögenden Eltern und befürchtete vor der Tat, dass diese ihn enterben: "Meiner Meinung nach, hat sie das ganze Leben danach ausgerichtet ,Reich‘ zu werden. Und so kurz davor sollte alles um sonst gewesen sein, Enterbung. Da ist sie einfach nur durchgedreht. (…) Das sind für mich ganz klare Tatmotive."

Im Dezember 2012, kurz nach dem zweiten Prozesstag, lässt die Nachbarin wissen, dass sie mit einem Geständnis der Angeklagten rechnet und wie dieses aussehen könnte: "Das Ende sehe ich in etwa so: ‚Ich habe das alles nur für Euch getan, damit es Euch besser geht und wir einen gesellschaftlichen Status haben auf den die Mädels stolz sein können. (…) Ich bin nicht schuldig sondern einfach nur nachhaltig gerecht und selbstlos.‘"

Manchmal bemüht die Nachbarin auch die Unschuldsvermutung für die Angeklagte. "Wer hat den hier behauptet sie sei schuldig, NIEMAND", schreibt sie im Januar und ergänzt: "hier ist nur festgestellt worden das sie bei ihrer Vernehmung nicht die Wahrheit gesagt hat..." Doch an anderer Stelle klingen ihre Beiträge wie Spott. Etwa wenn sie das Buch "Mein letzter Tampon" empfiehlt, um die Aussagen der Angeklagten einordnen zu können - schließlich sei diese ja in den Wechseljahren. Oder wenn sie im Mai, ein Jahr nach der Festnahme der Angeklagten, erst übers Wetter plaudert, dann in die Runde fragt: "Habt ihr heute schon ein Kerzchen angemacht?"

Die Nachbarin saß auch im Gerichtssaal, als die Staatsanwältin ihr Plädoyer vortrug. Und sie berichtete später sehr ausführlich darüber im Netz: "Da es keine Einwirkung auf das Verfahren mehr hat, kann ich das jetzt mit ruhigem Gewissen posten." Am 5. August wird sich zeigen, ob sie recht hatte.

Von unserem Redakteur Hartmut Wagner


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